Unsicherheit aushalten oder der steinige Weg auf dem Weinberg

A closeup shot of green grape leaves with a beautiful green landscape in the background

Unsicherheit aushalten. Was heißt das überhaupt? Das fängt schon damit an, erst mal festzustellen und einzugestehen was in all den Gedanken und Gefühlen überhaupt Unsicherheit ist? Und im Gegenzug, was bedeutet Sicherheit?

Für mich ist Sicherheit das Gefühl sein zu können, wer ich bin, frei entscheiden zu dürfen, was ich tue. So ganz grundsätzlich habe ich diese Freiheit. Aber woher kommt die und damit das Gefühl der Sicherheit? Natürlich spielt der schnöde Mammon eine gewisse Rolle – finanzielle Sicherheit als Basis gewissermaßen. Aber noch viel mehr kommt die Freiheit aus dem Gefühl sozial sicher eingebunden zu sein. Ich spüre, dass ich fest mit der Erde verwurzelt bin, verwurzelt in den Beziehungen zu Familie und Freunden, weiß, dass es da draußen Seelen gibt, die mich im Zweifel auffangen. Also alles gut – oder? Könnte man meinen und „objektiv“ betrachtet ist das auch so: ich bin erfolgreich im Job, habe die Freiheit in meiner Agentur die Projekte zu machen, auf die wir Lust haben. Ich weiß, dass meine Wurzeln mir die Sicherheit geben auch mal was zu riskieren, ich einfach mal einen Schritt zu weit gehen kann, um mich dort umzusehen. Realitätscheck: alles gut.

Mein Leben ist aber so viel mehr als nur dieser Realitätscheck. Es sind das Unvorhergesehene, sind die Schicksalsschläge, sind die Seelen, mit denen ich verbunden bin, die Verbindungen, die sich auch wieder auflösen, aber vor allem ich. Ich mit meiner Empathie, ich mit meinem Wunsch – nein, meinem Muster, die Dinge geordnet und unter Kontrolle haben zu wollen. Ich mit meinem schnellen Kopf, meiner Energie – und eben ich, die ich mir oft genug selbst im Wege stehe.

Vor zwei Jahren hatte ich den Mut, aus meinem Job auszubrechen und gemeinsam mit einem Partner sam waikiki zu gründen. Unser größter Vorsatz war der, uns auf das, was kommt offen und frei einzulassen, uns nicht schon von vorneherein zu begrenzen und uns einen festgefügten Rahmen zu geben. Aus der tiefsten Überzeugung, dass Kreativität nur entsteht, wenn man sich einlässt, wenn man offenbleibt und nicht in Schubladendenken verfällt. Der Mut einfach loszulaufen war gepaart mit Unsicherheit, Unsicherheit, ob unser Konzept aufgehen würde, Unsicherheit, ob wir wirklich in der Lage sein würden, uns voll darauf einzulassen. Und diese Unsicherheit war das Salz in meiner Suppe, hat mich in Bewegung gebracht, meinen Kopf und vor allem auch mein Herz und meine Seele geöffnet, hat mir einen wohligen Schauer über den Rücken gejagt und mich frei fühlen lassen. Unsicherheit im positivsten Sinne eben.

Und dann hat das Schicksal zugeschlagen, hat meinen Partner unheilbar erkranken lassen – und plötzlich war ich allein, hatte plötzlich den Spagat zwischen unserer geschäftlichen Vereinbarung und meinem Herz, das sich darauf einstellen sollte, einen Freund zu verlieren. Plötzlich waren wir nicht mehr gemeinsam sam und waikiki sondern ich stand alleine in der Verantwortung. Musste plötzlich alles allein entscheiden und denken. Und genau in diesem „alleine“ begann mein Dilemma. Das Dilemma rein „objektiv“ sehr gut in der Lage zu sein, unser Baby allein zu füttern und zu erziehen, aber eben im Job niemanden zu haben, der meine Begeisterung, meine Pläne und Ideen aber eben auch meine Unsicherheiten mit mir auf Augenhöhe teilt, den ich anstecken kann, der mir einen Teil der Verantwortung abnimmt. Und vor allem der drohende Abschied von sam oder waikiki, das schrittweise Begleiten eines Freundes auf seinem letzten Weg. 

Ich hadere mit mir, zweifle an mir selbst, frage mich, ob ich auf dem richtigen Weg bin, fühle mich einsam, schwanke zwischen Freiheit und Angst. Taumele von „einfach mal zu weit gehen“ zu auswandern wollen, von Freude über das Erreichte zu tiefer Trauer über den kommenden Verlust, von sam waikiki zu meinem Innersten, von verbundenen Seelen zu dem Gefühl vollkommen getrennt von allem und allen zu sein. Kurz: ich bin immer noch in Bewegung, offen im Kopf und im Herzen, spüre die Veränderung, die sich daraus ergibt, entdecke neue Seiten an mir, mache zwei Schritte vor und einen zurück. Ist, dass die Unsicherheit? Trauer? Normal? Und immer noch das Salz in meiner Suppe? In guten Momenten „ja“, in schwierigen Momenten „nein“.

In diesen schwierigen Momenten ist der Schauer, der mir über den Rücken läuft, nicht mehr wohlig, sondern eiskalt, möchte ich manchmal einfach aufgeben, wünsche ich mir weniger Gefühle und mehr Rationalität. Wünsche mir das Gefühl allein zu sein würde einfach vergehen, wünsche mir, die Verbindung mit der Erde und den Menschen, die mich umgeben stärker zu spüren, daraus die fehlende Sicherheit ziehen zu können. Ich habe in den letzten Monaten gelernt, dass all das sein darf, dass all das mich ausmacht – aber wie schwer ist es doch manchmal die Dinge wirklich auf sich zukommen zu lassen, sich wirklich darauf zu verlassen, dass die Dinge aus einem bestimmten Grund passieren und dass sie kommen, wie sie kommen sollen. Dass all das offensichtlich die Aufgaben sind, die mir das Universum stellt.

Ich werde vermutlich noch ein Weilchen weiter taumeln, werde vermutlich noch ein Weilchen zwischen „einfach mal zu weit gehen“ und „aufgeben“ schwanken. Aufgeben? Keine Option, das liegt mir nicht im Blut. Denn die Wurzeln der Sicherheit sind unverbrüchlich da, die Seelen, die mich begleiten auch. Und die schwersten Stürme pusten den Weg frei – und am Ende kommt der Regenbogen. Ganz sicher.